Stefan Baldemair: Rendezvous mit Folgen

 

Den Plan, sein über die Jahrzehnte prall mit Fotos und Erinnerungen gefülltes Gästebuch nicht nur daheim in den Bücherschrank zu stellen, sondern einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hatte Adi schon lange. Dass er ursprünglich mir die Aufgabe übertragen wollte, aus seinen Erinnerungen ein Buch zu machen, ehrt mich sehr. Nur, ich kam über ein erstes ordnendes Gerüst des sehr umfangreichen Materials und vielleicht nützliche Anregungen nicht allzu weit hinaus ...

 

Umso mehr freute es mich, als mir Adi vor einigen Tagen zeigen konnte, wie weit sein Werk unter kräftiger Mithilfe von Erich Themmel bereits gediehen ist. Da in einigen Passagen auch mein Name auftaucht, gab mir Adi die entsprechenden Abschnitte zum Lesen und lud mich ein, aus meiner Sicht dazu Stellung zu nehmen. Dieser Aufforderung komme ich gerne nach, denn jede Geschichte hat, wie man weiß, zumindest zwei Seiten.

 

Da lese ich zum Beispiel bei Adis Erinnerungen an meinen Einstieg als Bassist in den ersten Adi – Jüstel – Latin-Swing-Express: “Eines der vielen Hobbies von Stefan war die Gitarre. Ich überredete ihn, am Elektrobass mitzuspielen.“ Ich habe Adis Original-Wortlaut noch im Ohr, als er an einem Samstag - Nachmittag nach zwei Stunden probieren (proben konnte man das damals wohl noch nicht nennen) auf meine Einwände, öffentlich aufzutreten, sagte: „Wir beginnen um 8 Uhr abends, du kommst doch. Wer Gitarre spielen kann, kann auch Bass spielen.“

 

Eine glatte Fehleinschätzung, wie sich herausstellte, die mich aber über viele Jahre Wochenende für Wochenende schöne Stunden und Momente erleben ließ, die ich nicht missen möchte. In der ersten Zeit aber habe ich sicher Blut und Wasser geschwitzt bei unseren Auftritten...

 

 „1975 – der erste Latin-Swing-Express lese ich weiter in Adis Aufzeichnungen. Mehr als dreißig Jahre sind seitdem vergangen, eigentlich eine unvorstellbar lange Zeit. Aber um zu verstehen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, muss ich in meinem Erinnern noch etwas weiter zurückgehen.


Ich hatte eine junge Dame kennengelernt, die mir sehr gut gefiel. Nach einigen Rendezvouz – das Wort „date“ war für den deutschen Sprachgebrauch damals noch nicht erfunden – durfte ich annehmen, dass auch ich ihr nicht ganz gleichgültig war. Also hieß es sich anstrengen, um sie bei Interesse zu halten. Ich wollte ihr etwas Besonderes zeigen, etwas, wo nicht jeder hinging. Nicht lange zuvor hatte mir ein Freund den Mexicano-Keller gezeigt, und ich war vom Ambiente und der Musik, die dort gespielt wurde, begeistert. Dieser Keller war etwas Besonderes.

 

In der Hoffnung, dass es – wenn es mir so gut gefiel – auch meiner neuen Bekanntschaft gefallen könnte, lud ich sie zu einem Abend im Mexicano-Keller ein. Ich hatte eine gute Wahl getroffen. Sie war von diesem Lokal und seiner Musik ebenso angetan wie ich. So blieb es nicht bei diesem einen Mal. Wir kamen wieder und wurden schließlich zu Stammgästen ernannt, was man daran erkannte, dass man den kleinen Tisch für zwei Personen neben der Bar zugewiesen bekam.

 

Wie Margot es zustande brachte, dass dieser Tisch immer für uns frei war, obwohl wir uns so gut wie nie vorher anmeldeten, weiß ich bis heute nicht. Die Besuche im Mexicano häuften sich, wir kamen mit den Wirtsleuten ins Gespräch, und bei einem dieser Anlässe muss mich der Teufel geritten haben. Wohl um meiner Eroberung zu imponieren, erzählte ich Adi, dass ich „auch ein bisschen Gitarre spiele...“ Die Folgen waren gravierend.

 

Für die nächsten 25 Jahre waren die Samstag - Abende so gut wie verplant. Wir spielten, wir spielten die Musik, die ich so mochte, Blues, Swing, die alten Jazz-Standards, und ich durfte mitmachen ! Wir waren weit davon entfernt, perfekt zu sein, aber den Gästen gefiel es, und wir lernten jedesmal dazu. Besonders ich, denn ich hatte am meisten zu lernen. Adi hatte viele der Stücke schon in seiner Salzach–River–Stompers-Zeit gespielt, ich aber kannte die meisten nur vom Zuhören.

 

Einen Vorteil gab es vielleicht: Wir waren Autodidakten. Wir hatten uns unsere Instrumente und die Lieder selbst beigebracht, und wir spielten nur nach Gehör. „So brauchen wir uns nicht mit dem Noten-Lesen aufhalten, sondern können uns gleich der Musik widmen“, (Adi).

Für den Anfang genügte das, doch wir entwickelten uns weiter und Edi Wachs stieß zur Band. Ihm als „gelernten“ Gitarristen verzog es dann schon manchmal das Gesicht als hätte er Zahnschmerzen, wenn ich einen seiner (richtigen) Meinung nach zu spielenden Basston unter den Tisch fallen ließ. Adi Jüstel und er halfen mir viel in diesen Jahren, wobei das Lernen nie aufhörte, denn Adi hatte ein unerschöpfliches Repertoire.

 

Besonders gefürchtet waren bei mir anfangs die Auftritte mit Gastmusikern. Da wir eigentlich immer ohne festgelegtes Programm spielten, kam es unweigerlich zu folgendem Dialog mit unserem Gast. Adi: Kennst du das...? Er spielt drei Töne am Klavier.

 

Der Gast-Musiker: „Ah, du meinst das...?“ Drei Töne zurück, und die Truppe legte los, bevor ich überhaupt begriffen hatte, in welcher Dur das Stück eigentlich gespielt wird.

 

Es waren durchaus große Namen des Jazz unter diesen Gastmusikern, und besonders anfangs trieb es mir schon die Schweißperlen auf die Stirn, bis ich merkte, dass es umso leichter war mit diesen Musikern mitzuspielen, je besser sie selbst waren. Besonders gerne denke ich an Barney Kessel, einen der weltweit größten Jazz-Gitarristen dieser Jahre. Er lebte in .San Diego, seine Frau war gebürtige Österreicherin. Mit ihr kam er jedes Jahr für einen Monat nach Europa auf Urlaub und sah sich hier um. Auf einem dieser Streifzüge entdeckte Barney den Mexicano-Keller.

 

Fortan richtete er seinen Urlaub so ein, dass er sich während der Woche Europa ansah, aber am Samstag Abend war er pünktlich im Mexicano und spielte mit. Das ging über mehrere Jahre so. Für ihn war es wahrscheinlich angenehmer, mit einer Band als alleine im Hotelzimmer zu üben, aber er vermittelte uns das Gefühl, dass es ihm auch Spaß machte. Ich erinnere mich gut, wie sich Barney zu mir herüberlehnte, als ich bei irgendeinem schrägen Akkord den richtigen Basston nicht fand: „d - minor, d - minor“ flüsterte er, „d - moll“. Als beim nächsten Durchgang der richtige Ton an der richtigen Stelle kam, strahlte er über das ganze Gesicht. So wie er es überhaupt schaffte, um sich herum Frohsinn zu verbreiten.

 

Wir spielten in all den Jahren vor vielen Leuten im Mexicano- und später im Altstadt-Keller, aus denen sich ein eingeschworenes Stammpublikum bildete, für das wir musizieren durften. Ich erlebte viele schöne Stunden zusammen mit Adi und den anderen Mitgliedern der Band. Und das alles nur, weil ich vor mehr als dreißig Jahren einmal den Mund fast etwas zu voll genommen hatte.

 

Zu guter Letzt:

Die eingangs erwähnte junge Dame heißt übrigens Gerti und ist seit über fünfundzwanzig Jahren meine Frau.